Meine erste Begegnung mit Raphiatextilien fand in Paris statt. Am Ende eines langen mit vielen Eindrücken beladenen Tages fand ich
mich auf einem Holzhocker
kauernd, völlig überfordert, gleichzeitig fasziniert von der Ausdruckskraft und
der Grafik der gesehenen Textilien in einer Galerie an der Seine wieder. Die
Tücher haben mich überwältigt. Ich wollte zu diesem Zeitpunkt nicht anfangen zu
sammeln. Ich tat es doch, und in Paris wurde der Grundstock dazu gelegt.
In keiner europäischen Stadt läßt sich besser von Afrika träumen als in Paris.
So vielfältig sind die Einflüsse die hier aus afrikanischen Ländern auf
europäische Kultur treffen. Sei es in der bildenden Kunst, in der Musik, in den
arts décoratives, nicht zuletzt in der Mode und in der französischen Küche. Ich
spreche hier nicht von folkloristischen Auswüchsen, ich spreche von einer
Auseinandersetzung mit den entscheidenden stilbildenden Elementen auf höchstem
Niveau.
In der bildenden Kunst begann dieser Austausch bereits Anfang des 20.
Jahrhunderts. Die Textilgestaltung der Kuba beeinflusste Künstler wie Henri
Matisse, Paul Klee, Eduardo Chillida aber auch A.R. Penck in ihrer abstrakt
graphischen Gestaltung. Matisse lebte auch mit den Textilien der Kuba. Eine
ganze Wand in seinem Atelier war den Stoffen seiner Sammlung gewidmet. 1988
stellte eine Ausstellung in der Pariser Fondation Dapper den direkten Dialog
zwischen alten Kuba Textilien und moderner europäischer Malerei beeindruckend
dar.
Wer ist dieses
Volk der Kuba?
Das Königreich Kuba wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts zwischen den Flüssen
Kasai, Sankuru und dem Unterlauf des Lulua gegründet. Der Kasai ist ein
Nebenfluß des Kongo, dessen Stromverlauf das Gebiet des früheren
Belgisch-Kongo, der heutigen Demokratischen Republik Kongo prägt. Mit Ebenen
und Hügeln, die nicht höher sind als 500 Meter, liegt das Königreich im Norden
an der Grenze zu äquatorialen Wald, im Süden grenzt die Savanne an.
Kuba ist ein Sammelname. Mit ihm bezeichnen benachbarte Populationen die im
Kubareich vereinigten 18 Ethnien, die sich vom Ende des 16. Jahrhunderts bis
Mitte des 17. Jahrhunderts in diesem Gebiet ansiedelten. „Bakuba“ ist die
Bantuform des Namens Kuba, bei der Numerus aus der Vorsilbe „ba“ ersichtlich
ist, „Bakuba“ heiß also „die Kuba“.
Von Ihren Nachbarvölkern wurden die Kuba mit Beinamen wie „Menschen mit
Wurfmessern“ oder „Menschen des Blitzes“ belegt, denn die überlegene Waffe, mit
der sie ihr späteres Territorium erobert und erweitert haben, war das
Wurfmesser, das so bedrohlich in der Sonne aufblitzte, ehe es den Feind wie ein
Blitz aus heiterem Himmel traf. Es wurde zum gefürchteten Symbol ihrer
Überlegenheit. „Kuba“ heißt „Blitz“, sich selbst nennen sie „Bushoong“,
Wurfwaffe, nach dem Namen jenes Volkes, das im Bündnis dominiert.
Durch die Jahrhunderte werden die Kuba von Reisenden als große, muskulöse
Menschen beschrieben, die durch charakteristische Tätowierungen und bauschige
Hüfttücher aus eng gefalteten Raphiastoffen zu erkennen waren. Immer wieder
wird ihr Kunstschaffen betont. Bei den Kuba ist die Verzierung der Inbegriff
aller künstlerischen Tätigkeit. Sie haben kein Wort für „Kunst“ aber eines für
„design“, nämlich „bwiin“ und können 200 der typischen Muster mit Namen
benennen.
Das Muster ist der Kern der Ästhetik dieser Völker. Die optimale
Gestaltung einer Verzierung wurde am häufigsten diskutiert, am
vielseitigsten erprobt und im Sinne formaler Problemlösung am höchsten
entwickelt.
Die
Symbolsprache aus abstrakten Formen findet in dieser Kultur seit Jahrhunderten
Verwendung. Die Kuba gebrauchten Zeichen, die nur einen ganz kleinen Teil des
Gesamten zeigen, aber das Symbol sind für ein Ganzes. In den Textilien begegnen
uns abstrakt umgeformete Tiere, Gegenstände des täglichen Lebens der Kuba, aber
auch Formen mit symbolhafter Bedeutung.
Muster spielen eine zentrale Rolle im Leben der Kuba. So werden nicht nur
Textilien und Gebrauchsgegenstände, sondern auch der menschliche Körper sowie
Häuser mit ihnen verziert. Die Graphik der Kuba arbeitet mit den Elementen
Punkt, Linie, Fläche. Als wesentlichste Formen treten das Quadrat mit seinen
Teilungen, daraus resultierende Drei-, Sechs- und Achteckformen, Mäanderformen,
Diagonalstrukturen und Überschneidungen auf. Ein sehr wichtiges und häufig
verwendetes Zeichen ist das „woot“, benannt nach dem mythischen Helden und
Gründer der Kuba-Reiche. Musterüberschneidungen wie z.B. im „imbol“ Motiv sind
als Begegnungen, doppelt auch als Veränderung beschrieben. Das Quadrat ist das
königliche „bushoong“ Muster.
Versteht man
die geometrischen Zeichen nicht als reines Dekor, so wird deutlich, daß sich
der Gestaltende allgemein bekannter Symbole bedient, um das , was ihn bewegt,
zum Ausdruck zu bringen.
Das Ausgangsmaterial für die traditionellen Tanztücher der Kuba ist die Faser
der Raphiapalme. Die Textilien sind bis zu sieben Metern lang und werden aus
einzelnen Tafeln zusammengesetzt, deren Maß sich durch die Länge der
natürlichen Palmfaser ergibt. Die Tücher werden von Männern wie von Frauen
getragen, wobei das Weben die Arbeit der Männer ist. Um eine Geschmeidigkeit zu
erhalten werden die Stoffe geknetet, geschlagen und zwischen den Händen
gerieben, eine Prozedur die oft nicht ohne Folgen bleibt. Aus der
Notwendigkeit brüchige Stellen zu reparieren entwickelt sich die
Applikationstechnik, später wird das Ornament Selbstzweck und die
Applikation die meist benutzte Technik für die zeremonielle Kleidung der Kuba.
Die Muster
erzählen für die, die sie gefertigt haben einen Lebensweg oder eine Geschichte.
Für uns, den faszinierten Betrachter aus einer ganz anderen Kultur können und
müssen sie nicht übersetzt werden, aber ihre Kraft, Mystik und Faszination
zieht uns in den Bann und eröffnet uns den Blick für ganz neue eigene Geschichten,
Empfindungen, vielleicht sogar für einen meditiativen Ansatz.
Für meine CUBE verwende ich neben den antiken, heute nicht mehr produzierten
Raphia-Tanztüchern auch Bogolanstoffe aus Mali.
Wohl kaum eine
traditionelle Stoffbearbeitung hat in den letzen Jahrzehnten eine solche
Renaissance erfahren wie die Bogolan-Stoffe. „Bogolan“ bedeutet Schlamm,
„Bogolanfini“ Schlammkleid. Ausgangsmaterialien für die Textilien sind schmale,
zusammengenähte, zunächst naturfarbenen Baumwollstreifen und eisenoxidhaltiger
Flußschlamm. Die Technik des Stoff Färbens wurde erst in den letzten
Jahrzehnten erforscht und dokumentiert. Die ursprünglich von Frauen aus der
Bamana Sprachregion mit Farben und Tinkturen aus Blättern und Nigerschlamm
bearbeiteten Stoffe werden zunehmend auch von Künstlergruppen junger Männer
produziert. Mehrere aufwendige Bäder zur Vorbereitung, zum Färben und Fixieren
kennzeichnen den immer noch von Geheimrezepten begleiteten aufwendigen Prozeß.
Traditionsgemäß werden die Kenntnis des Färbens und die Muster von der Mutter
an die Töchter weitergegeben.
Die Rückbesinnung auf
Traditionen nach der politischen Unabhängigkeit Malis in den 60er Jahren führt
zu einer vermehrten Produktion dieser Textilien. Die tief in der Tradition des
dörflichen Lebens verwurzelten Motive werden nun zu Trägern eines jungen
nationalen Selbstbewußtseins. Mitte der 70er Jahre entdecken malinesische
Künstler wie Kandioura Coulibaly und Lamine Sidibé die Technik des Färbens mit
Pflanzenfarben für ihre Kunst, erste Dokumentationen über die Färbetechnik
werden veröffentlicht, und 1979 schickt Chris Seydou die ersten Designerstücke
aus Bogolan Stoff über die Pariser Laufstege. International finden die Muster
jetzt Eingang in die Pariser Interior-Design Szene und in afroamerikanische
Modeströmungen in den USA.
Meine Idee zu CUBE entstand aus der Begeisterung für die Ornamentik und
Mustervielfalt der Textilien dieser beiden Regionen, die geprägt sind durch die
zwei großen lebensspendenen Flüsse des Kontinents, Kongo und Niger.
Mit CUBE werden
die afrikanischen Textilien kreativ umgesetzt und benutzbar. CUBE, das ist die
Verbindung einer einfachen, klaren, ausgewogenen Form mit traditionellen
afrikanischen Textilien, deren Muster ihre eigene Geschichte erzählen. Die
kubische Form und die Weichheit und Zeichnung des verwendeten Materials gehen
eine Symbiose ein. Als textiles Kunst-Objekt integriert CUBE die Formenwelt
einer fremden Kultur in unser tägliches Leben und nimmt hier den Dialog mit dem
bereits Vorhandenen auf. CUBE ist Skulptur und Gebrauchsgegenstand zugleich.
Täglich gebraucht bewahrt er dennoch seine Eigenständigkeit als textiles
Kunst-Objekt.
Die individuellen Einzelanfertigungen entwickeln ihre spezifische Eigenart im
Zusammenspiel des Musters. Jeder CUBE ist ein Einzelstück.
„Es gibt kein Geheimnis zwischen einem Mann und seinem Hocker“
sagt ein Sprichwort der Ashanti
Das Sprichwort ist bezeichnend für die enge Beziehung zum Hocker, die viele
afrikanische Stämme pflegen. So ist ein Hocker das erste Geschenk eines Vaters
an sein Kind, er begleitet Frau und Mann ein Leben lang und ist eng mit den
traditionellen Riten verbunden. Er ist Brautgeschenk und Herrschersitz.
Die strenge kubische Form in findet sich in der angewandten Kunst vor allem in
den Entwürfen Le Corbusiers, Josef Hofmanns, aber auch in der Kargheit des
Ulmer Hockers von Max Bill und Hans Gugelot. Die Flexibilität und
Multifunktionalität von CUBE entsprechen ganz unserer heutigen „stadtnomadisch“
geprägten Lebensform.
Wie die, durch ihre Graphik bestechenden afrikanischen Textilien findet CUBE
seine Bewunderer unter Menschen, die sich der Auseinandersetzung mit Form und
Gestaltung verschrieben haben, oder selbst kreativ tätig sind.